Das Geheimnis des Erfolgs
von William Walker Atkinson
Die Macht des Verlangens
Was ist ein Verlangen? Schlagen wir es nach! Das Wörterbuch Webster sagt hierzu: „Das natürliche Verlangen, etwas für gut Erachtetes zu besitzen, die Sehnsucht, zu erhalten und zu genießen“ bzw. in seiner abnormalen Bedeutung: „exzessives oder krankhaftes Verlangen, Lust, Appetit".
„Verlangen“ ist ein abgegriffener Ausdruck. Die Öffentlichkeit verbindet mit diesem Begriff häufig eine abnormale oder degenerierte Phase und übersieht die ursprüngliche und wahre Bedeutung. Viele verwenden dieses Wort im Sinne eines unwürdigen Habenwollens oder einer ungesunden Sehnsucht, statt im Sinne eines gesunden Strebens.
Doch auch wenn das Verlangen als „Streben“ bezeichnet wird, bleibt es ein Verlangen. Ein Verlangen ist ein natürlicher und universeller Impuls auf eine Tat hin, wobei damit nicht zum Ausdruck gebracht wird, ob diese Tat gut oder schlecht ist.
Ohne Verlangen bleibt der Wille unätig, es wird nichts erreicht. Selbst die höchsten Errungenschaften und Ziele der Menschheit sind nur möglich, wenn der Dampf des Willens durch die Flamme und Hitze des Verlangens entfacht wird.
Es gibt Geheimlehren, die das Verlangen ausmerzen wollen und der Student solcher Lehren wird selbst vor seinen subtilsten Ausprägungen gewarnt, was soweit geht, dass er nicht einmal „verlangen soll, nichts zu verlangen“.
Das ist hochgradiger Unsinn.
Wenn jemand sein Verlangen ausmerzen „will“, „möchte“, „dazu neigt“, „es für das Beste hält“ oder „es gerne täte“, tut er auch nichts anderes als etwas zu verlangen, auch wenn sich die Terminologie verändert hat. Es ist lediglich eine Verschleierung eines klaren Wunsches, eines Verlangens, mit anderen Begriffen. Einen Wunsch oder ein Verlangen „auszumerzen“, ohne es zu „wollen“, ist etwa so als würde man sich an seinen eigenen Schnürsenkeln hochziehen wollen. Abwegig.
Gemeint ist wahrscheinlich, dass der Okkultist das niedrige Verlangen, das er an seinem Wesen entdeckt, sowie auch die Abhängigkeit von Dingen ausmerzen sollte. Der wirklich Eingeweihte weiß, dass auch die besten „Dinge“ nicht gut genug sind, um die Beherrschung über sich selbst zu erlangen und in seinem Leben selbst Regie zu führen. Für die Seele ist nichts genug, woran sie sich hängen sollte, was dazu führen würde, dass das Ding über die Seele herrscht, statt die Seele über das Ding. Das ist die wahre Absicht solcher Lehren, die Vermeidung des Abhängigseins, des Darauf-fixiert-Seins.
Das Verlangen ist ein fürchterlicher Meister. Wie Feuer frisst er die Unterstützung durch die Seele weg und hinterlässt nur glimmende Asche.
Aber das Verlangen ist – ebenfalls wie Feuer – auch ein hervorragender Diener.
Seine gelenkte Kraft kann den Dampf des Willens und die Aktivität entfachen und in der Welt viel erreichen. Ohne gelenktes Verlangen wäre die Welt untätig.
Begehen Sie deshalb nicht den Fehler, das Verlangen mehr zu gebrauchen als Sie Feuer gebrauchen würden. In beiden Fällen sollten Sie die Führung übernehmen und vermeiden, dass es sich Ihrer Kontrolle entzieht.
Das Verlangen ist die motivierende Kraft, welche die Welt regiert, auch wenn wir es vielfach nicht zugeben wollen. Sehen Sie sich um und Sie werden die Auswirkungen des Verlangens in jeder menschlichen Handlung, sei diese gut oder schlecht, bemerken.
Wie der Schriftsteller schreibt: „Jede unserer Taten, die guten wie die schlechten, werden durch Verlangen ausgelöst. Wir sind karitativ, weil wir das Verlangen haben, unser inneres Leid angesichts Notleidender zu lindern, oder weil wir das Verlangen nach Mitgefühl haben, oder weil wir auf der Welt respektiert werden wollen, oder weil wir uns in der nächsten Welt einen Ehrenplatz erhoffen.
Jemand ist freundlich, weil er das Verlangen (den tiefen Wunsch) nach Freundlichkeit hat. Seine freundliche Art gibt ihm Befriedigung, während ein anderer aus demselbe Grunde grausam ist.
Ein Mann tut seine Pflicht, weil er danach verlangt. Er zieht aus seinem Pflichtbewusstsein eine höhere Befriedigung als aus einer Nachlässigkeit.
Der religiöse Mensch ist religiös, weil seine tiefen religiösen Wünsche stärker sind als seine nichtreligiösen. Er findet in der Religion eine höhere Befriedigung als in irdischen Dingen.
Der moralische Mensch ist sittlich, weil seine moralischen Wünsche stärker sind als seine unmoralischen. Er zieht aus seiner Sittlichkeit eine größere Befriedigung als aus dem Gegenteil.
Was immer wir auch tun, es wird durch einen tiefen Wunsch, durch ein Verlangen, ausgelöst, in welcher Form es sich auch immer zeigen mag. Hinter jeder Tat steht ein Verlangen. Das ist ein natürliches Gesetz des Lebens. Alles, vom Atom bis zur Monade, von der Monade bis zum Insekt, vom Insekt bis zum Menschen, vom Menschen bis zur Natur, wird aufgrund der Macht des Verlangens aktiv."
Oberflächlich betrachtet wird der Mensch damit zu einer bloßen Maschine, welche aufgrund eines Verlangens tätig wird, das ihm durch den Kopf schießt.
Dies ist beileibe nicht so.
Der Mensch handelt nicht aufgrund JEDES Verlangens, sondern nur aufgrund des STÄRKSTEN Verlangens oder aufgrund des Querschnitts seiner stärksten Verlangen. Dieser Querschnitt seiner tiefsten Wünsche, seiner Verlangen, bildet sein Wesen oder seinen Charakter.
Und hier kommt die Beherrschung des „Selbst“ zum Tragen!
Er braucht keineswegs Sklave seines Verlangens zu sein, wenn er die Kunst der Regieführung beherrscht. Es steht in seiner Macht, sein Verlangen zu steuern, in Bahnen zu lenken und so auszurichten, wie es ihm beliebt. Er kann aufgrund seines Willens sogar Verlangen erzeugen, wie wir gleich sehen werden. Indem er die psychologischen Gesetze erlernt, kann er ungünstiges Verlangen neutralisieren, er kann sich weiterentwickeln und wachsen, ja, er kann praktisch an ihrer Stelle neue Wünsche, neues Verlangen, erschaffen, indem er sich seines Willens bedient, wobei ihm Vernunft und Urteilsvermögens helfen. Der Mensch ist Herr seines Denkens.
„Schon“, mag mancher Kritiker einwenden, „das mag durchaus richtig sein, aber ist nicht auch in diesem Fall das Verlangen das vorherrschende Motiv; muss nicht erst ein Verlangen neues Verlangen erschaffen, bevor der Mensch so handeln kann? Ist es denn nicht so, dass das Verlangen der Tat immer vorangeht?“
„Scharf gedacht, meine Freunde, aber alle in diesem Bereich Fortgeschrittenen wissen, dass es einen Punkt gibt, an dem sich das Prinzip des Verlangens mit einem engverwandten Prinzip vermischt, mit dem Willen. Man könnte beinahe sagen, dass dann eine Manifestion von Wille zu Wille zustandekommt, statt nur von Verlangen zu Wille. Dieser Zustand muss erfahren werden, damit er verstanden wird. Worte können ihn nicht beschreiben.
Wie wir gesehen haben, liegt es in der Macht des Menschen, ein Verlangen zu erschaffen. Das geht über die Beherrschung des Verlangens hinaus. Diese Aussage ist zweifelsfrei richtig. Sie ist durch die neuesten Experimente und Entdeckungen der modernen Psychologie untermauert.
Statt dass der Mensch nur ein von Verlangen getriebenes Wesen ist – was in der Tat häufig geschieht -, ist er nun der Herr seines Verlangens, ja sogar dessen Erschaffer. Kraft seines Wissens und seines Willens kann er die übliche Reihenfolge der Dinge umkehren und den Eindringling vom Thron stürzen, er kann sich selbst darauf setzen und hat ein volles Anrecht darauf. Dann kann er den Besatzer auffordern, die Gemächer zu verlassen.
Die beste Art und Weise für den neuen Throninhaber, um einen neu strukturierten Hof zu erhalten, besteht darin, die alten und störenden Geschöpfe seines Denkens zu entlassen und an ihrer Stelle neu zu erschaffen. Dabei ist er gut beraten, wie folgt vorzugehen:
Zuerst sollte man sorgfältig darüber nachdenken, was man erreichen will.
Aufgrund dieser Beurteilung sollte man überlegt, unparteiisch und so unpersönlich wie möglich eine geistige Bestandsaufnahme von sich selbst vornehmen, um festzustellen, wo es Mängel abzustellen gilt, was die erfolgreiche Erfüllung der Augabe anbelangt.
Als Nächstes sollte man die anstehende Aufgabe genau analysieren und die Angelegenheit in viele klar unterteilte Bereiche aufteilen.
Auf diese Weise kann man die Dinge so sehen, wie sie sind. Das gilt für das Gesamte ebenso wie für das Detail. Auch die allgemeinen Aufgaben, welche erledigt werden müssen, damit das Vorhaben gelingen kann, sollten einer genauen Betrachtung unterzogen werden, nicht nur die im Laufe der Erledigung Tag für Tag auftauchenden Probleme.
Nach dieser Bestandsaufnahme, der Prüfung des Vorhabens und der eigenen Qualifikationen und Mängel sollte man numehr das Verlangen nach folgenden Plan erschaffen:
Der erste Schritt bei der Erschaffung eines tiefen Wunsches, eines Verlangens, besteht darin, sich ein klares und lebhaftes Vorstellungsbild von den Eigenschaften, Dingen und Einzelheiten des Vorhabens und auch des fertigen Ganzen zu machen.
Unter einem „Vorstellungsbild“ verstehen wir ein klar umrissenes, messerscharfes geistiges Bild der soeben genannten Dinge.
Wenden Sie sich nicht angesichts des Wortes „Vorstellungsbild“ gleich ab. Auch dies kann ein Wort sein, das bei Ihnen andere Assoziationen auslöst. „Vorstellung“ bedeutet wesentlich mehr als müßige Phantasien, auch wenn viele Leute glauben, dass dies alles sei. Das ist es keineswegs. Die Phantasie ist vielmehr so etwas wie der Schatten der wirklichen Vorstellungskraft. Bei der Vorstellung handelt es sich um etwas Wirkliches. Es handelt sich um eine geistige Fähigkeit, anhand derer eine Matrix, eine Gußform, ein Muster, eine Vorlage, erschaffen wird, welches der trainierte Wille und das geschulte Verlangen dann in eine objektive Realität verwandeln. Es gibt nichts durch die Hände und den Geist des Menschen Erschaffenes, was nicht zunächst seinen Ursprung in der Vorstellungskraft hatte. Die Vorstellungskraft ist der erste Schöpfungsschritt, im Großen und im Kleinen.
Die geistige Vorlage muss der materiellen Form immer vorangehen. Dasselbe gilt für die Erschaffung des Verlangens. Bevor Sie ein Verlangen erschaffen können, müssen Sie zunächst ein klares geistiges Bild dessen haben, was Sie verlangen wollen.
Sie werden feststellen, dass diese Aufgaben der Erschaffung eines geistigen Bildes etwas schwieriger ist als Sie anfänglich vermutlich dachten.
Sie werden Ihre Schwierigkeiten damit haben, sich ein klares geistiges Bild dessen zu machen, was Sie benötigen.
Aber lassen Sie sich nicht entmutigen. Seien Sie beharrlich. Hier ebenso, wie bei allem anderen. Übung macht den Meister. Jedes Mal, wenn Sie ein geistiges Bild zu formen versuchen, wird es etwas klarer und schärfer werden und die Einzelheiten werden jedes Mal ein bisschen deutlicher zum Vorschein kommen.
Übertreiben Sie es dabei nicht! Wenn Sie ermüden, führen Sie die Übungen zu einer späteren Zeit oder am nächsten Tag fort. Üben müssen Sie jedoch. Sie können auch üben, indem Sie versuchen, sich an etwas Gesehenes möglichst plastisch zu erinnern. In späteren Lektionen werden auf das Thema der geistigen Vorstellung näher eingehen.
Nachdem Sie ein klares geistiges Bild der gewünschten – und somit erlangbaren - Dinge aufgebaut haben, konzentrieren Sie Ihre Aufmerksamkeit auf diese Dinge.
Bei der konzentrierten Aufmerksamkeit weiten Sie gleichsam Ihren geistigen Horizont soweit aus, dass sich das Gewünschte innerhalb des Horizonts befindet.
Prägen Sie sich das Gewünschte – das Verlangte – so deutlich und klar umrissen ein, wie Sie etwas in eine Wachsvorlage einprägen würden.
Nachdem Sie Ihre Wunschvorstellung Ihrem Bewusstsein über die Vorstellungskraft und die Aufmerksamkeit eingeprägt haben, wird es dort fest verankert.
Jetzt beginnen Sie mit der Pflege eines brennenden Verlangens, einer Sehnsucht, einer Forderung, dass diese Dinge materielle Gestalt anzunehmen haben.
Fordern Sie ein, dass Sie die für das Vorhaben notwendigen Qualitäten entwickeln;
fordern Sie ein, dass sich Ihr geistiges Wunschbild verwirkliche;
fordern Sie ein, dass sich die Einzelheiten ebenso wie das Ganze manifestieren und gestatten Sie, dass auch „etwas Besseres“ geschehen könne, was sicherlich der Fall sein wird, sobald sich Ihr inneres Bewusstsein der Sache angenommen hat.
Dann wünschen Sie mit aller Kraft, verlangen Sie fest, voller Zuversicht und Ernsthaftigkeit.
Gehen Sie bei Ihren Forderungen und Ihrem Verlangen nicht halbherzig vor. Fordern Sie das Ganze ohne Wenn und Aber ein, und fühlen Sie in sich die Zuversicht, dass es sich auf der materiellen Ebene zeigen wird.
Denken Sie daran, träumen Sie davon und vor allem – verlangen Sie danach. Sie müssen von Ihrem Wunsch durchdrungen sein.
Sie können Vieles erreichen, wenn Ihr Verlangen stark genug ist. Das Problem ist häufig, dass es bei vielen Menschen bei einem halbherzigen „schön wäre es ja“ bleibt, und dass sie nicht mit aller Kraft wünschen und verlangen.
Verlangen Sie das Gewünschte mit derselben Selbstverständlichkeit, wie Sie Ihr tägliches Mahl verlangen.