Ist Ihnen dieses Verhaltensmuster - aus Ihrer eigenen Beziehung oder durch Beobachtung - bekannt?
Partner A erzählt etwas - sein Herzblatt korrigiert das soeben Gesagte.
Partner A trägt ein bestimmtes Kleidungsstück - sein Herzblatt mäkelt daran herum.
Partner A setzt sich hin - dem Herzblatt passt nicht, wie Partner A seine Beine überschlägt ...
Eine funktionierende Partnerschaft muss Zweierlei beinhalten, damit sie stark und tragfähig ist:
1. Das Wir-Gefühl muss stark genug sein, um die Partnerschaft zu schützen. Das bedeutet nicht, dass man alle Zeit zusammen verbringt, aber das Zusammengehörigkeitsgefühl ist stark genug und die Grenzen sind klar gezogen.
2. Jeder der beiden Partner braucht ein starkes Selbstwertgefühl. Damit ist nicht zwangsläufig eine starke Persönlichkeit gemeint. Gerade eine scheinbar "starke Persönlichkeit" kann eine Überkompensation von Minderwertigkeitskomplexen zu verschleiern suchen.
Wer ein gesundes und starkes Selbstwertgefühl besitzt, ist sich bewusst, wie er denkt, fühlt und sich verhält.
Ein solcher Mensch hat auch ein Gefühl für sein inneres Wachstum, seine Weiterentwicklung und Potenzialentfaltung, und wird immer mehr zu dem, was er sein kann.
Falls jedoch jemand meint, dass er oder sie bereits alle wisse, nichts mehr dazuzulernen habe oder keinen Wachstumspielraum mehr sieht, befindet er sich auf sehr dünnem Eis.
Ein jeder von uns kann ständig weiterwachsen. Menschen mit einem gesunden Selbstbewertbewusstsein wissen, dass sie noch lange nicht dort sind, wo sie potenziell sein könnten, aber sie machen sich deshalb nicht verrückt; sie wissen, dass sie ihr Leben lang weiterlernen und weiterwachsen werden.
Solche Menschen haben auch ein Gefühl für die Richtung, in die die ihr Leben verläuft (die "Taxis").
Wer sich seiner selbst bewusst ist, stagniert nicht wie ein abgestorbener Tümpel, sondern befindet sich im Fluss.
Die Tendenz zum Kontrollieren, Bevormunden und Zurechtweisen kommt aus einem schwach ausgeprägten Selbstwertgefühl. Dazu kommt, dass man dem Partner nicht wirklich traut, die Beziehung also auf tönnernen Füßen steht.
Wie so oft, kann die Ursache bereits aus der Kindheit stammen, weil bereits in der Herkunftsfamilie viel Scham und Angst vorhanden waren.
Ein kontrollierendes Verhalten hat deshalb immer mit Angst zu tun, hauptsächlich mit der Angst, das Gewünschte nicht zu bekommen.
Dieses ungesunde Verhalten zieht sich durch das ganze Leben des betreffendes Menschen: er lässt sich kontrollieren und kontrolliert seinerseits.
Wer kontrollieren will, möchte, dass alles nach ihm gehe. Er/sie möchte sein kleines Reich um sich herum "im Griff haben".
Dieses "kleine Reich" kann das Herzblatt, die Kinder, Kollegen oder den Alltag betreffen. Die Folge ist, dass der andere Mensch zur "Non-Person" reduziert wird. Für den anderen wird dann entschieden, was "das Beste" für ihn sei, was er/sie tun oder zu lassen habe; jegliche Eigenverantwortung wird ihm abgesprochen und nicht zugetraut.
Wer Vertrauen in den Lebensfluss und in die Fähigkeit anderer Menschen, für sich selbst zu entscheiden, haben könnte, hätte keine Veranlassung, kontrollierend eingreifen "zu müssen".
Das alles kann durchaus gut gemeint sein. Der "Kontrolleur" meint oftmals allen Ernstes, dass er es besser wisse - dass damit ein Mangel an Respekt zum Ausdruck gelangt, ist ihm häufig nicht einmal bewusst.
Jede partnerschaftliche Situation ist wieder anders; Verallgemeinerungen sind immer mit Vorsicht zu genießen.
Wie soll man da Beispiele anführen? Es besteht immer die Gefahr, dass jemand ein solches Beispiel liest und dann sagt: "Das habe ich noch nie gemacht, also trifft das Ganze auf mich nicht zu".
Dennoch, nur zur Veranschaulichung:
Nehmen wir an, dass einer der Partner grundsätzlich alle finanziellen Entscheidungen trifft. Er bezahlt die Rechnungen, kümmert sich um Geldanlagen und um alle übrigen Ausgaben.
Es ist ihm nicht bewusst, dass das zwanghafte Kontrollierenmüssen von Geld einer Angst entstammt. Die lockere und zuversichtliche Haltung "Geld will zu mir", wie sie im gleichnamigen E-Book zum Ausdruck gebracht wird, ist ihm völlig fremd. Wahrscheinlich würde er eine solche Einstellung als "naiv" abtun.
Nicht zuletzt zeigt sich die "Kontrollitis" im Bereich des sexuellen Umgangs in der Beziehung.
Wie, wann und alle übrigen Varianten werden dann immer nur von einer Seite entschieden. Sex wird auch als "Belohnung" oder "Bestrafung" eingesetzt. Wenn etwas nicht so läuft, wie es sich einer der Partner wünscht, wird der andere mit Sexentzug bestraft.
Die "Kontrollitis" könnte auch im Bereich der Kindererziehung ausgeübt werden. Es dürfte wenig Sinn machen, unzählige Beispiele aufzuführen, der rote Faden, der sich durch all diese Verhaltensweisen hindurchzieht, ist:
"Ich habe Recht und du weißt nicht, wo°s langgeht."
Wenn der/die andere dann doch gegen die Anschauungen des "Besserwissers" verstößt, wir er bestraft.
Dies bringt uns wieder zum Thema der Scham.
Der Kontrolleur hat Angst; es geht ihm sehr darum, wie er von anderen wahrgenommen wird.
Das ist ein angelerntes Verhalten und nicht selten wird es von einer Generation zur nächsten weitergegeben.
Entweder man macht es "richtig", oder man wird nicht geliebt.
Wer in einem solchen familiären Umfeld groß geworden ist, hat gelernt, dass Fehler oder Unzulänglichkeiten zu massiven Vorhaltungen führen und zum Beispiel Wut, Überreaktionen oder Vorwürfe auslösen können.
Letztendlich geht es um den äußeren Anschein. Ein schwaches Selbstwertgefühl wird vertuscht und man bemüht sich, nach außen hin möglichst alles "richtig" zu machen.
Der "Kontrolleur" (wobei es sich um Mann oder Frau handeln kann) hat meist auch das Gefühl für gesunde Grenzen verloren.
Jeder von uns hat seine persönlichen Wertigkeiten. Nehmen wir an, dass eine dieser Wertigkeiten für Anna Ehrlichkeit ist. Anna hat gelernt, immer die Wahrheit zu sagen und erwartet dies auch von ihrem Partner. Sie würde nicht einmal eine Notlüge verzeihen und sollte sie ihren Hans einmal dabei ertappen, dass er sie anlügt, wäre dies für sie eine unverzeihliche Grenzüberschreitung.
"Immer nur die reine Wahrheit", das ist die Grenze für sie.
Was Anna dabei übersieht, ist, dass man persönliche Wertmaßstäbe nicht auf andere übertragen kann. So etwas lässt sich nicht überwachen oder aufoktroyieren.
Grenzen könnten wir mit einem Zaun in einem Garten vergleichen. Ein etwa hüfthoher Zaun dient lediglich dazu, das Grundstück abzustecken und zu markieren.
Jemand könnte durchaus darüber hinwegklettern oder etwas in den Garten werfen. Wenn der Besitzer dies sieht, kann er dem Eindringling sagen, dass dies ein Privatbesitz ist und der Eindringling unerwünscht ist.
Das wird jedem Fremden durch diese Art von Zaun deutlich gemacht, auch wenn man ihn überwinden könnte.
Mit persönlichen Grenzen verhält es sich ähnlich: Jemand hat die Grenze zwar bemerkt, aber auf aggressive Weise entschieden, sie zu überschreiten.
Übertragen wir, vor dem Hintergrund dieser Analogie mit dem Gartenzaun, das Beispiel auf die partnerschaftliche Ebene:
Sagen wir, dass Beate und Heinrich sich streiten und mittendrin geht Heinricht einfach aus dem Haus.
Wäre dies eine Grenzverletzung?
Unseres Erachtens nicht. Beate kann Heinrich nicht zwingen, jetzt weiter zuzuhören. Wenn sie ihn aufgrund dieses Verhaltens kontrollieren will, wird sich die Situation nicht verbessern.
Hätte sie ihn gezwungen, im Haus zu bleiben (zum Beispiel, weil sie das Zimmer zusperrt), so wäre dies ein kontrollierendes Verhalten gewesen.
Wie hätte sie sich souverän verhalten können?
Jemandem zum Reden zu zwingen, wenn ihm nicht dazu zumute ist, dürfte wohl nie etwas bringen und wäre kontraproduktiv. In diesem Beispiel hätte Beate gut daran getan, Heinrich erst mal gehen zu lassen (egal, ob in die Kneipe, zum Joggen oder anderswohin).
Jedes weitere Pochen auf die Fortführung des "Gesprächs" hätte den Streit nur weiter erhitzt und nichts gelöst.
Sie hätte den Faden später wieder aufnehmen können, zum Beispiel folgendermaßen:
"Hör mal, Heinrich. Ich brauch noch mal 10 Minuten, um ein paar Dinge zu erkären. Wär dir das jetzt recht?"
Vorwurfslos ausgesprochen, hätte dies ihre Chance auf eine konstruktive Beilegung sicherlich erhöht.
Wir leben in einer unsicheren Welt, weshalb uns Ängste immer und überall auflauern. Das kann uns veranlassen, kontraproduktive Verhaltensweisen an den Tag zu legen, vor allem dann, wenn unser Selbstbewusstsein noch Nachholbedarf hat und wir unsere eigenen Grenzen noch nicht gut genug abgesteckt haben.
Falls Sie sich auf einer der beiden Seiten befinden, das heißt, entweder kontrollieren oder kontrolliert werden, sollten Sie Ihre eigenen Wertmaßstäbe unter die Lupe nehmen (das, was Sie von sich selbst erwarten).
Des Weiteren sollten Sie Ihre Grenzen sichern (die Linie schützen, deren Überschreitung Sie niemandem gestatten).
Je gesünder und stärker Ihr Selbstwertgefühl, umso geringer die Gefahr, dass Sie zu einem kontrollierenden Verhalten greifen.
"Das Leben ist eine ständige Baustelle", heißt es. Fehler und Schnitzer werden auch in Zukunft passieren.
Doch Fehler sind noch lange kein Versagen.
Es sind Chancen, daraus zu lernen und es künftig besser zu machen.